Kein Fan, nirgends!

Alles im Blick: Mit dem Feldstecher werden die Aufgänge darauf kontrolliert, ob sich nicht doch ein Fan eingeschlichen hat
Kein Fan, nirgends!
Bundesliga: Wie Corona das Aufgabenfeld der Szenekundigen Beamten verändert
Streife-Redaktion

Marc Bauer und Dirk Maluchnik arbeiten als „Szenekundige Beamte“ (SKB) bei der Polizei Gelsenkirchen. Ihr Aufgabenbereich ist Schalke, genauer seine blau-weißen Fans. „Vor den Spieltagen sammeln wir mithilfe unserer Kontakte im Verein und in anderen Netzwerken Informationen und erstellen so ein Lagebild: Wie viele Anhänger reisen insgesamt an, wie ist die Lage bei den sogenannten ‚Problemfans‘, was gilt es sonst noch zu beachten etc.“, erläutert Bauer (43), der den Job seit 13 Jahren macht.

Na gut, dieses Mal geht es nur gegen Bayer Leverkusen. „Vizekusen“ oder „Pillekusen“ (in Anspielung auf die Bayer AG, die den Verein besitzt), wie einige Fußballfans abwertend sagen. Nicht gegen die Bayern oder gar die verhassten Schwarz-Gelben. Und die Leistung der Schalker seit dem Bundesliga-Neustart nach der Corona-Pause lässt auch zu wünschen übrig. Bis zu diesem Spiel Mitte Juni holte der Gelsenkirchener Club gerade mal einen Punkt aus fünf Partien. Alles Gründe für die völlige Leere, die sich an diesem regnerischen Sonntagnachmittag vor Marc Bauer und Dirk Maluchnik ausbreitet.

Auf der Basis ihrer Einschätzung wird dann beispielsweise entschieden, wie die Einsatz-Abschnitte in und um die Veltins-Arena gegliedert werden und – natürlich – wie viele Beamte das Spiel begleiten sollen. Wenn Freiburg oder Augsburg kommen, reichen meistens 100. Wenn der BVB anreist, braucht es mindestens die zehnfache Menge. Oder besser noch ein bisschen mehr. Geisterspiele kommen hingegen mit einer oder zwei Handvoll Leuten aus.

Am Spieltag sind Bauer, Maluchnik und die anderen SKB-Kollegen dann schon Stunden vor dem Anpfiff in Zivil in der Stadt unterwegs und gucken, wo sich die (polizeibekannten) Fangruppen treffen, wie sie sich bewegen, was anders ist als sonst, wo Probleme oder Zoff drohen. Und greifen gegebenenfalls ein. Dieser Ablauf ist immer der gleiche, egal ob normales Spiel oder Geisterspiel. Also auch an diesem Sonntag.

Rein in den Wagen und los in Richtung der potenziellen Hotspots: zur alten Industrie-Lagerhalle, wo sich die „Ultras“ treffen, die zahlenmäßig größte Gruppe der Hardcore-Fans; zur ehemaligen Disco in der Nähe des Hauptbahnhofs, die die „Hugos“ übernommen haben; zur kleinen Kneipe zwischen Innenstadt und Arena, die die „Gelsen-Szene“ beherbergt. Überall das gleiche Bild: niemand da. Kein Fan, nirgends. Könnte das am schlechten Wetter liegen? Nein, sagt Dirk Maluchnik, den alle nur „Malle“ nennen und der seit sechs Jahren zur SKB-Truppe gehört. „Die Fan-Gruppen haben sich für eine Beendigung der Saison ausgesprochen, Geisterspiele sind für sie nicht akzeptabel. Also bleiben sie zu Hause.“ Das bestätigt auch eine letzte Fahrt durch die Stadt.

Was die beiden Kollegen mitten im Ruhrgebiet erleben, gilt so oder ähnlich auch für die anderen Fußball-Hochburgen in NRW wie Köln, Dortmund und Düsseldorf. Generell haben sich die Fußallfans nach der Wiederaufnahme der Bundesliga verantwortungsvoll verhalten. Weder an den Stadien noch in den Innenstädten kam es zu nennenswerten Verstößen gegen die Corona-Schutzvorschriften oder strafrechtliche Bestimmungen. „Ich muss den Fans ein dickes Lob aussprechen. Das war trotz aller verständlichen Emotionen echtes Fair Play“, unterstreicht NRW-Innenminister Herbert Reul. Die Spieltage hätten gezeigt, dass sich in diesen schwierigen Zeiten Gesundheitsschutz und Fußballbegeisterung sehr wohl miteinander verbinden lassen. Wie an diesem dunklen Sonntag in Gelsenkirchen wurden bei der überwiegenden Mehrzahl der Spiele keine Fußballfans im Umfeld der Stadien bzw. im Stadtgebiet erkannt. Die Anhänger verfolgten die Partien vielmehr im Fernsehen und Radio.

Vor Corona strömten die Fans hingegen zu Zehntausenden in die im Sommer 2001 eröffnete Arena. Bauer und Maluchnik würden sich unter sie mischen und sich während des Spiels in der Nähe aufhalten, damit sie eingreifen können, wenn Ärger droht. Etwa bei einem klassischen Fall von „gruppendynamischen Vorkommnissen“: Blau-weiße Fantrupps bewegen sich in Richtung des Gästeblocks. „Dank unserer Erfahrung können wir ganz gut einschätzen, ob es sich dann noch lohnt, dass wir kommunikativ versuchen, mit den Führungsleuten der Gruppen die Lage zu entspannen“, sagt Bauer. „Oder ob als letztes Mittel der Einsatz von geschlossenen Einheiten notwendig ist.“ Insgesamt hat sich das Verhältnis der SKBs zu Ultras und Co. zuletzt aber – zumindest auf Schalke – verbessert.

Heute ist etwas ganz anderes notwendig: Es gibt Gerüchte, dass einige Fans ihrem Ärger über die miserable Leistung der Schalker Elf Luft machen und die Spieler auf ihrem Weg vom Hotel zum Stadion stellen wollen. Weil die Quarantäne-Unterkunft der Kicker direkt um die Ecke liegt, legt das Team diesen kurzen Weg zu Fuß und nicht im Mannschaftsbus zurück. Bauer und Maluchnik sind zur Stelle, doch auch für diesen Protest fehlt den Anhängern offenbar die Energie – wieder mal keiner da.

Das Spiel beobachten die Beamten, der eine Schalke-Fan, der andere „Sympathisant“, aus der Befehlsstelle. In dem Raum mit Blick auf Spielfeld und Ränge befinden sich unter anderem die Kameras, die bei Krawallen helfen, die Krawallmacher zu identifizieren. Nach dem Schlusspfiff (die Partie endet 1:1) steht für die Polizisten noch eine Abschlussrunde durch die Ruhrgebiets-Metropole an. Wenig überraschend, hat sich die Situation nicht verändert. All das kommt in den Verlaufsbericht, der komplette Einsatz wird sorgfältig verschriftlicht. Dann ist Schluss. Eine weitere 6-Tage-Woche liegt hinter den Beamten.

Bei der Verabschiedung überreicht Maluchnik noch seine Visitenkarte. „Dirk Maluchnik – Szenekundiger Beamter/Spotter“ steht darauf. „Im Englischen ist ‚Spotter‘ unsere Berufsbezeichnung. Früher waren wir ja auch bei internationalen Spielen im Einsatz“, erläutert er. „Das ist aber jetzt schon einige Zeit her.“ Und so, wie es derzeit auf Schalke läuft, dürften Mailand, Madrid und Co. auch in naher Zukunft nicht zu den Einsatzorten der beiden Beamten gehören.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110