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Die Sperrung der Sauerlandlinie treibt die Arbeitsbelastung der Polizei im Märkischen Kreis kräftig nach oben.
Die Brücke von Rahmede
Die Sperrung der Sauerlandlinie treibt die Arbeitsbelastung der Polizei im Märkischen Kreis kräftig nach oben.
Streife-Redaktion

Der Tag hat noch nicht einmal richtig begonnen, da liegt Erik Blume schon unter einem weißen Kleintransporter und guckt sich dessen Unterboden an. Auf der Sauerlandlinie A 45, auf dem Weg zum Einsatz, hat der Polizeioberkommissar den ramponierten Wagen zum Anhalten gezwungen. Das Fahrzeug aus dem Ruhrgebiet verliert kräftig Öl, die Bremsklötze sind stark abgenutzt, die blinkende Motorkontrollleuchte ist nur schwer zu übersehen. „Die Mängel sind nicht so gravierend, als dass der Mini-Laster sofort aus dem Verkehr gezogen werden muss und der Fahrer seine Ladung nicht mehr zum Wochenmarkt in Lüdenscheid bringen kann“, urteilt der 37-Jährige vom Verkehrsdienst der Polizei des Märkischen Kreises. „Eine Anzeige für Fahrer und Halter gibt es aber auf jeden Fall. Und einen Kontrollbericht, damit der Halter umgehend die Mängel beseitigt.“

Erik Blume und seine Kolleginnen und Kollegen der Polizei in und um Lüdenscheid versehen seit Ende vergangenen Jahres ihren Dienst in einer Art Ausnahmezustand. Die Sperrung der Talbrücke Rahmede auf der A 45 hat ihre Arbeitsbelastung massiv erhöht. Gleichzeitig ist das Leben in der Kreisstadt samt ihren gut 70.000 Einwohnern im wahrsten Sinne des Wortes ein Stück weit zum Stillstand gekommen. Seit der kompletten Sperrung des Teilstücks der BAB 45 wird der Verkehr über Umleitungen (U16/ U39) mitten durch die Stadt geführt. Diese Strecken verlaufen in gegenläufigen Richtungen zwischen den beiden Anschlussstellen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid. Ein nicht enden wollender Zug an roten Bremslichtern schlängelt sich durch die Gemeinde im Nordwesten des Sauerlands: 25.000 Fahrzeuge – darunter 6.000 Lkws – verstopfen Tag und Nacht die innerstädtischen Straßen.

Das Drama um die marode Talbrücke Rahmede beginnt am 2. Dezember 2021. An diesem Tag werden bei Bauwerkskontrollen per Laserscan Verformungen im Überbau gefunden. Diese führen zu einer sofortigen Sperrung der A 45 zwischen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid – in beide Richtungen und für den gesamten Verkehr. Die 453 Meter lange Brücke, die zwischen 1965 und 1968 errichtet wurde, kann schlicht nicht mehr: Bei ihrem Bau gingen die Planer von einer maximalen Belastung durch 25.000 Fahrzeuge pro Tag aus. Ende der 2010er Jahre waren es bereits 64.000, davon 13.000 Lkws. Diese durften früher maximal 32 Tonnen wiegen, 2021 betrug das zulässige Höchstgewicht bis zu 44 Tonnen. Weitere Untersuchungen im Januar 2022 fördern noch weitere Schäden (Risse an den Lastenträgern) zutage. Damit ist das Schicksal des rund 70 Meter hohen Bauwerks endgültig besiegelt. Auch eine zwischendurch angedachte Nutzung nur für Autos kommt nicht mehr in Frage. Noch im Laufe dieses Jahres soll die Brücke gesprengt werden. Wann ein Ersatzbau fertig sein könnte, steht noch in den Sternen. Mal hieß es, man wolle sich den Neubau der Morandi-Brücke in Genua zum Vorbild nehmen, die in zwei Jahren fertiggestellt wurde. Anfang Januar 2022 schätzte die zuständige Autobahn GmbH des Bundes die Dauer des Neubaus auf fünf Jahre. Eine genaue Planung steht noch aus.

„Die Sperrung betrifft den Verkehr im gesamten Märkischen Kreis, die Auswirkungen sind in der ganzen Region spürbar“, weiß Armin Kibbert (48) von der Führungsstelle Verkehr der Polizei in Lüdenscheid. Viele Autofahrer haben auf die allgegenwärtigen Staus reagiert, indem sie eigene Wege gehen (genauer: fahren). Per Handy und/oder Navi sucht sich ein Teil des Pkw- und Schwerlastverkehrs Abkürzungen und Ausweichrouten. Schulen, Kindergärten, Wohngebiete? Egal, Hauptsache es geht schneller voran. Kibbert: „Gemeinsam mit der Stadt Lüdenscheid und Straßen.NRW haben wir umfassende Verkehrsverbote angeordnet, wodurch der Verkehr auf die ausgewiesenen Strecken gezwungen werden soll. Doch an diese Order halten sich natürlich nicht alle Auto- und Lkw-Fahrer.“ Ein großes Problem sind die vielen ausländischen Lkw-Fahrer, die von ihren Navis oder Google Maps direkt in die gesperrten Gegenden geführt werden.

Egal ob absichtlich oder falsch geleitet – die Fahrzeuge gehören da nicht hin. Entsprechend hoch soll der Kontrolldruck gehalten werden, müssen Zustand der Fahrzeuge, ihre Geschwindigkeit und die Durchfahrtsberechtigung jeden Tag aufs Neue gecheckt werden. Vor den Sommerferien in Nordrhein-Westfalen wurden zusätzlich zu den täglichen Einsätzen der Lüdenscheider Polizei zehn Wochen lang Schwerpunktkontrollen durchgeführt. Dabei waren immer wieder Polizeikräfte aus der Umgebung – zum Beispiel die Hundertschaften aus Dortmund und Wuppertal – im Einsatz.

„Dem Verkehrsdienst kommt dabei eine besondere Aufgabe zu. Er ist für die technische Überwachung des Güterverkehrs, aber auch für die von Schulbussen, Gefahrguttransportern und Krädern zuständig“, unterstreicht Polizeihauptkommissar Kibbert. Fast täglich legen Erik Blume und seine 16 Kolleginnen und Kollegen Fahrzeuge, allen voran Klein-Lkws, aufgrund technischer Mängel still. Seit Beginn der Kontrollen im Dezember 2021 waren es bis Anfang Mai schon mehr als 140. Teilweise befinden sie sich in einem völlig desolaten technischen Zustand. Damit stellen die Lkws und Transporter, die häufig aus Osteuropa stammen, nicht nur für ihre Fahrer und Mitreisenden eine Gefahr dar. Das gilt auch für die bewohnten Gebiete, Kindergärten und Schulen, an denen sie sich vorbeizwängen.

Polizeioberkommissar Blume, der seinen Dienstort von Lüdenscheid nach Iserlohn verlegt hat, weil sich durch die mit der Brückensperrung verbundenen Staus sein Arbeitsweg sonst auf 90 Minuten (selbstverständlich One Way) verdoppelt hätte, erinnert sich an einen Fall zum Jahreswechsel 2021/22: „Wir haben damals eine Reisegruppe aus der Republik Moldau kontrolliert. Um Spritkosten zu sparen, befand sich in deren Bus ein 300 Liter fassender Ersatztank, der unsachgemäß und provisorisch unter der Bodengruppe des Busses fixiert war.“ Damit der kostbare Diesel nicht durch einen vorschriftsmäßigen Überlauf auf den Asphalt tropfte, wurde der Sprit (samt leicht entzündlichen Dämpfen) mithilfe einer PET-Flasche aufgefangen. Diese war wiederum direkt im Motorraum neben der wackeligen und polfreien Batterie platziert. Im Ergebnis befand sich eine leicht entzündliche Quelle direkt neben einem Stromkreislauf. Erik Blume: „Ein Funke und alles hätte in Flammen gestanden.“

Auch neun Monate nach der Sperrung der Brücke justiert die Polizei in Lüdenscheid in Absprache mit der Stadt und Straßen.NRW einzelne Maßnahmen zur Verkehrslenkung beständig nach. So wurde etwa an einer nicht beampelten Kreuzung von zwei Landstraßen zunächst eine Lichtzeichenanlage mit bevorzugter Schaltung für die Umleitungen eingerichtet. Doch sie löste das Stau-Problem nicht wirklich. Mittlerweile ist deshalb eine dynamische Ampel im Einsatz, die auf die jeweilige Lage auf den beiden Straßen selbstständig reagiert. So läuft es immerhin etwas weniger schlecht.

Die Situation in Lüdenscheid wird noch durch eine fehlende Umgehungsstraße verschärft. Zusätzliches Problem: „In der Stadt selbst ist enorm viel Industrie angesiedelt, sodass man das Gebiet nicht komplett für den Schwerlastverkehr sperren kann. Lieferverkehr muss weiterhin möglich sein“, betont Mareen Weische, Leiterin der Direktion Verkehr der Kreispolizeibehörde Märkischer Kreis. Dafür sind jedoch vielerorts die Straßen und ihre Fahrbahndecken nicht ausgelegt. Schon bald drohen Umleitungen für die Umleitung, die ertüchtigt werden muss. Das wird die Stimmung in der Stadt nicht verbessern. „Die Nerven vieler Betroffener liegen blank. Autofahrer verstehen die Fahrverbote nicht, Anwohner wollen mehr davon“, so die 40-jährige Polizeioberrätin. „In diesem Spannungsfeld müssen unsere Einsatzkräfte jeden Tag ihren Job machen. Und wie sie dies seit Ende 2021 erledigen, das verdient einfach allerhöchstes Lob.“

„Wir erleben die komplette Bandbreite der Reaktionen auf unsere Arbeit“, bestätigt Erik Blume, der seit 2018 beim Verkehrsdienst arbeitet. Wütend, genervt, aggressiv, neutral – alles dabei. „Viele Fahrer sind uns gegenüber sehr kritisch, aber wenn der Sachverständige unsere Einschätzung teilt und bestätigt, dass wir eigentlich das Leben der Fahrer schützen, dann sind sie schon dankbar.“ Der Erfolg des Verkehrsdienstes beruht nicht zuletzt auf der Tatsache, dass Wissen von älteren an jüngere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben wird. Hinzu kommt klassisches „Learning by doing“. Blume: „Wenn wir mit den Sachverständigen in die Grube steigen, nehmen wir da natürlich unheimlich viel Know-how mit.“ So kann ihm beispielsweise auch in Sachen Tuning kein Autoposer ein X für ein U vormachen.

Kaum ist der Polizeioberkommissar unter dem Mini-Laster aus dem Revier wieder hervorgekrabbelt, haben die Kollegen schon einen weiteren Transporter angehalten. Diesmal hat nicht der Zustand des Fahrzeugs, sondern etwas ganz anderes das Interesse der Beamten geweckt: ein angeblicher Handwerksbetrieb aus Luxemburg mit Recklinghäuser Kennzeichen. „Viele Firmen verkaufen ihre Fahrzeuge und die neuen Besitzer belassen die alte Werbung als Tarnung auf den Fahrzeugen, die sie zum Beispiel zum illegalen Schrottsammeln nutzen“, so Erik Blume. Der Blick ins Fahrzeuginnere erhärtet den Verdacht: Die Seitentür ist extra mit einer Platte abgedeckt und gesichert, damit im Fall der Fälle alles schnell reingeworfen werden kann und sie dabei nicht aufspringt. Noch ist der Wagen – bis auf ein paar Werkzeuge – aber komplett leer. Dafür stellen die Polizisten bei der Kontrolle der Papiere fest, dass für den Beifahrer ein Haftbefehl vorliegt. Deshalb geht es jetzt erst mal aufs Revier. Danach wird weiter kontrolliert.

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