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Rede von NRW-Innenminister Reul
Bundesweit erstes Symposium zur Clankriminalität: Erkenntnisse teilen, Strategien erarbeiten
„Die andere Seite kann sich warm anziehen!“
Streife-Redaktion

Das NRW-Innenministerium hatte zum Symposium »360-Grad-Maßnahmen gegen die Clankriminalität« eingeladen. Insgesamt fanden sich rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und 70 Pressevertreter im Essener »Haus der Technik« ein, um sich über kriminelle Clanmitglieder zu informieren und auszutauschen.

Zu den Teilnehmern gehörten neben Kriminologen, Bundes- und Landespolizisten, Juristen, Islamwissenschaftlern und Theologen auch Vertreter des Zolls sowie von Ordnungsämtern, Jobcentern und Ausländerbehörden. In verschiedenen Vorträgen, Workshops und an zahlreichen Infoständen konnten sich die Besucher unter anderem über aktuelle Maßnahmen der Bekämpfung von Clankriminalität, die engmaschige Netzwerkarbeit der Behörden, aber auch zu Möglichkeiten der Prävention informieren.

In seiner Begrüßungsrede betonte NRW-Innenminister Herbert Reul: »Wir bieten mit dem Symposium eine Plattform, auf der sich die Experten über die neuesten Erkenntnisse zum Phänomen Clankriminalität austauschen und Netzwerke bilden können. Denn nur die enge und verzahnte Zusammenarbeit der Polizei mit anderen Behörden macht es möglich, alle rechtlichen Mittel gegen die kriminellen Clanmitglieder auszuschöpfen.« Wichtig sei dabei vor allem eine langfristige Strategie,bei der die Polizei ständige Präsenz und konsequentes Handeln zeige. „Wir setzen in Nordrhein-Westfalen auf einen Dreiklang: Mit Razzien und Kontrollen setzen wir immer wieder Nadelstiche, wir bekämpfen durch intensive Ermittlungsarbeit die Organisierte Kriminalität und wir wollen denjenigen, die sich aus kriminellen Strukturen lösen wollen, eine Ausstiegshilfe geben.“ so Innenminister Reul.

Dem Essener Polizeipräsidenten Frank Richter lag vor allem die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger am Herzen, aber auch die seiner Mitarbeiter: »Die Kollegen leisten 24 Stunden am Tag eine gute und professionelle Arbeit. Das erlebe ich jeden Tag. Wir haben eine Polizei, auf die wir uns verlassen können. Als Führungskräfte müssen wir uns aber auch hinter unsere Mitarbeiter stellen und klarmachen: Wir dulden keine Beleidigungen oder körperlichen Angriffe gegen Kolleginnen und Kollegen.« Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen war froh über die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der Polizei. Er begrüßte das entschiedene Auftreten aller Beteiligten gegen kriminelle Clanmitglieder. »In Essen gibt es eine große Toleranz für Menschen, die bei uns mitmachen wollen und gegenüber den verschiedenen Kulturen, Religionen und Lebensstilen. Wir zeigen gleichzeitig aber auch Null Toleranz gegenüber Kriminalität. Wir möchten den kriminellen Strukturen der Clans Paroli bieten.«

 

Problemorientierte Herangehensweise wichtig

In einem Impulsvortrag beleuchtete der Rechts- und Islamwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Mathias Rohe von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die Hintergründe von Clankriminalität und mögliche Gegenstrategien aus wissenschaftlicher Sicht. Um gegen die Clans effektiv vorgehen zu können, müsse man zunächst deren Strukturen verstehen: Woher sie kommen, wie sie aufgewachsen sind und welche speziellen sozialen Normen für sie gelten. So hätten Viele in ihren Herkunftsländern massive Diskriminierungen erlebt – auch durch den Staat. Schutz bot oftmals nur die Familie. Daher rührten unter anderem die große Loyalität zu den Angehörigen und die komplette Abschottung zur Außenwelt. Die Männer würden zudem von Kindesbeinen an dazu erzogen, Stärke zu zeigen und die Familie zu stützen, was es für sie umso schwerer mache, aus dem ganzen System auszubrechen. Typisch dafür sei auch das laute, impulsive und aggressive Auftreten in der Öffentlichkeit. Rohe betonte: »Man braucht eine problemorientierte Herangehensweise, etwa eine langfristige und niederschwellige Präsenz der Polizei.« das Ganze sei ein Marathon – kein Sprint. Wenn einer vorbeifahrenden Streife der Mittelfinger gezeigt werde, sollten die Personen kontrolliert und, wenn nötig, mit auf die Wache genommen werden, und zwar konsequent: »Das wird nicht dazu führen, dass sie beim nächsten Mal stattdessen fröhlich winken – aber sie werden irgendwann vielleicht einfach weggucken.« Wichtig sei außerdem eine ganzheitliche Familienpolitik, die nicht nur mehr Frauenhäuser zur Verfügung stellt, sondern auch den Männern Möglichkeiten bietet, aus den kriminellen Strukturen auszusteigen. »Man darf außerdem nicht vergessen: nicht alle Clanmitglieder sind Kriminelle. Viele führen ein anständiges Leben. Diese Personen könnten als Brückenbauer fungieren«, so der Experte.

 

»Ihr habt mir gar nichts zu sagen!«

Im Foyer konnten sich die Teilnehmer des Symposiums an insgesamt sieben »Ankerpunkten« zu verschiedenen Themen rund um Clankriminalität informieren. Expertinnen und Experten aus den Polizeibehörden, vom LKA und Zoll sowie von der Feuerwehr und der Staatskanzlei beantworteten Interessierten an den Infoständen Fragen zu den Themen »Einsatzerfahrungen«, »Shisha-Bars«, »Carposing«, »Vermögensabschöpfung Fahrzeuge« oder »follow the money – kein Platz für finanzielle Schattenwelten«. Am Ankerpunkt »Einsatzerfahrungen« wurde sofort deutlich, mit welchem Verhalten der Clanmitglieder die Beamten von Polizei und Feuerwehr konfrontiert werden. Den Infostand schmückten Plakate mit eindeutigen Zitaten: »Du hast die Fresse zu halten. Ich kann mit dir machen, was ich will!« (Polizei Essen, Januar 2019, Fahrzeugkontrolle), »Scheiß Bullen verpisst euch, das ist unsere Straße!« (Polizei Düren, November 2016, erste Reaktion bei Eintreffen einer Streife) oder »Sie haben nicht mit meiner Frau zu diskutieren. Ihr redet auch nicht mit meinem Kind!« (Polizei Essen, Januar 2019) sind nur einige Beispiele. Sven Lewandowitz und Christian Richartz vom Polizeipräsidium Essen berichteten außerdem von ihren persönlichen Erfahrungen. »Bei ganz normalen Verkehrskontrollen wird zunächst einmal sämtliche Mitarbeit verweigert. Man wird bedroht und beleidigt. »Ihr habt mir gar nichts zu sagen, ihr Hurensöhne«, oder »Wir wissen, wo du wohnst«, sind Sätze, die wir häufig hören. Die Clanmitglieder suchen sich gerne das schwächste Glied in der Kette für solche Drohungen heraus – etwa den Kollegen, der erst seit drei Monaten Streife fährt«, erzählt Sven Lewandowitz.

Schon bei geringsten Anlässen werden andere Familienmitglieder zu Hilfe gerufen.« Christian Richartz: »Hält zum Beispiel eine Streife, weil ein Wagen in zweiter Reihe parkt, wird sofort innerhalb der Familie nach Verstärkung gerufen. Je größer die polizeiliche Maßnahme, desto mehr Personen tauchen auf.« Die Beamten wünschen sich ein konsequenteres Durchgreifen der Justiz. Auch wenn klar ist, dass Gefängnisstrafen nur bedingt wirksam sind. »Ein Gefängnisaufenthalt steigert eher noch das Ansehen innerhalb des Clans – weil man sich für die Familie eingesetzt hat. Deshalb muss man ihnen ans Geld, an die Autos und an die Führerscheine. Das ist es, was weh tut«, so Sven Lewandowitz.

 

»Follow the money«

Genau um diesen Bereich kümmert sich Michael Reska, Leiter des Dezernats »Finanzierung Organisierte Kriminalität, Terrorismus« im Landeskriminalamt und Mitglied der Task Force gegen Clankriminalität. Er beantwortete während des Symposiums Fragen rund um den so genannten »follow-the-money«-Ansatz der NRW-Polizei. »Es geht darum, einen Überblick über die Vermögenswerte zu bekommen und zu schauen: passt das legale Einkommen einer Person zu den Vermögenswerten, über die sie verfügt? Und wenn nicht: Wo kommt das Geld her?« dabei geht es nicht nur um hohe Bargeldbeträge, sondern vor allem auch um hochwertige Fahrzeuge, teuren Schmuck oder Immobilien. »Das LKA arbeitet innerhalb der Task Force eng mit der Steuerfahndung und der Justiz zusammen. Damit haben wir auch in dieser kurzen Zeit schon gute Erfahrungen gemacht«, erklärte Reska. Die Wege seien kurz, was die Arbeit erleichtere. Außerdem wolle das LKA den Austausch mit Berlin, Bremen und Niedersachsen intensivieren. »Das sind die Bundesländer, in denen kriminelle Clans ebenfalls besonders aktiv sind.«

 

Austausch unter Experten

Auf vier Plattformen zu je drei »Themeninseln« konnten sich die Teilnehmer des Symposiums unter professioneller Leitung austauschen und gemeinsam innovative Ansätze zur Bekämpfung von Clankriminalität entwickeln. Die vier Plattformen zu den Bereichen »Prävention«, »Netzwerkarbeit«, »Einsatzwahrnehmung« und »Kriminalitätsbekämpfung« beschäftigten sich in den einzelnen Workshops unter anderem mit den Bereichen »Aussteigerprogramme«, »Zusammenarbeit mit der Justiz«, »persönliche Einsatzerfahrungen und -belastungen« sowie »Informationsaustausch zu Clanfamilien und Intensivtätern«. In den Workshops standen namhafte Expertinnen und Experten für Fragen zur Verfügung, etwa die Berliner Oberstaatsanwältin Petra Leister, die dort für den Bereich Organisierte Kriminalität zuständig ist. In dem von ihr geleiteten Workshop fand ein Erfahrungsaustausch zur Bekämpfung der Clankriminalität über die Grenzen der Länder hinaus statt. Leister berichtete in diesem Zusammenhang über ihre Erfahrungen in der Bundeshauptstadt im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Immobilien.

 

Am Ball bleiben

Am Ende waren sich alle Beteiligten einig: Kriminelle Mitglieder von Familienclans kann man nur erfolgreich bekämpfen, wenn alle an einem Strang ziehen. Eine große Herausforderung bildet dabei nicht nur die Bekämpfung der Kriminalität, sondern auch die Prävention und das Angebot an Ausstiegsmöglichkeiten. Nicht zuletzt ist dabei aber ein langer Atem wichtig. Dr. Daniela Lesmeister, Leiterin der Abteilung Polizei im Innenministerium, betont: »Die eng gesetzten Nadelstiche verunsichern die Szene. einige Clanmitglieder befürchten, dass sie ihre Geschäfte nicht mehr weiterführen können. Andere gehen davon aus, dass der Polizei bald die Puste ausgeht. Das wird nicht der Fall sein. Die Ergebnisse dieses Tages bilden die Grundlage für weitere Maßnahmen und Projekte. Die andere Seite kann sich warm anziehen.«

 

Clankriminalität wird weiter konsequent verfolgt

Die Razzien der jüngsten Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen führten die Polizistinnen und Polizisten gemeinsam mit Beschäftigten aus den Ordnungsämtern, dem Zoll, den Finanzämtern, den Bauämtern, der Gewerbeaufsicht und den Ausländerämtern durch. Auch die Staatsanwaltschaften sind jedes Mal an solchen nächtlichen Intensivkontrollen beteiligt. »Dieser vernetzte Ansatz hat sich bewährt. Wir werden die Zusammenarbeit mit unseren Sicherheitspartnern daher in Zukunft weiter ausbauen«, erläutert NRW-Innenminister Herbert Reul. »Es war höchste Zeit, dass wir mit den Maßnahmen wie verstärkten Razzien begonnen haben. Und da müssen wir noch konsequenter dranbleiben, als es bisher der Fall war.« Die Razzien haben nach seiner Überzeugung auf die Dauer eine Wirkung und sind ein Teil der Lösung. Das Ziel des Ministers: »Wir wollen stören, die Täter nicht mehr in Ruhe lassen. Die können sich nicht mehr sicher sein.«

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