Diese Stadt ist alles: laut, schnell, teuer, beeindruckend, schön, hässlich, anstrengend, abwechslungsreich, chaotisch, grau und grün. Und sie ist zugleich reich und arm. Gegensätzlicher und unmittelbarer könnte die materielle Verteilung in einer Großstadt der sogenannten ersten Welt kaum sein: Von den gut 8 Millionen Einwohnern New Yorks gelten 70 als Milliardäre und 400000 als Millionäre. Derzeit kann man (wenn man kann) eine 1-Zimmer-Wohnung für 4 Millionen US-Dollar mit Blick auf den Central Park kaufen. Wie man hört und liest, ist die Nachfrage enorm. Andererseits leben 1,7 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze und 12000 Familien mit Kindern sind obdachlos. Bettler, offensichtlich Obdachlose und andere „randständige Personen“ sind – mehr oder weniger – in fast allen Vierteln der Stadt Teil des Straßenbilds. Man fragt sich, wie all diese Menschen in der Stadt leben und überleben können.
Überhaupt die Preise: Die ersten 8 Dollar des Tages investiere ich regelmäßig in ein Croissant (oder eine Brioche) und einen Cappuccino auf dem Weg ins Büro. Mittags dann eine Kleinigkeit zum Mitnehmen macht weitere 10 Dollar, und der Kaffee am Nachmittag muss ja auch sein (4 Dollar). Das Monatsticket zum Reinpendeln ist auch nicht gerade günstig, ist aber gegenüber dem Auto die eindeutig bessere Wahl: Von den Staus mal abgesehen, ist das Parken in Manhattan ebenfalls ein echtes Investment: 25 Dollar die halbe Stunde im Early-Bird-Tarif. Ja, Geld ausgeben kann man hier gut, und es macht auch Spaß. Die Auswahl ist groß, es gibt alles in jeder Preislage. Allein etwa 2000 Kaffeebars gibt es hier, von denen einige Kult sind.
Wer bei seinem nächsten New York-Besuch guten Kaffee mag, geht zu Joe in der Grand Central Station. Aber nicht alles ist teuer oder zumindest teurer als in Deutschland. So bekommt man den kompletten Ölwechsel fürs Auto im Angebot für 15 Dollar und ein Paar gute Joggingschuhe kostet 70 Dollar. Von den Preisen für Unterhaltungselektronik (Riesen-Fernseher, Computer und Telefone) Apple, Samsung& Co ist bekannt, dass Deutschland hier nicht mithalten kann. Schade nur, dass der günstige Ölwechsel und das neueste Flatscreen-TV beim allmorgendlichen Weg ins Büro gegen Kaffeedurst wenig helfen.
Von den weltweit rund 43000 UN-Mitarbeitern (nur Sekretariat) arbeiten etwa 6500 in New York. Wenn diese 6500 Menschen nicht gerade zwischen 9 und 17:30 Uhr ihrem Tagewerk nachgehen, wieseln sie im UN-/ Diplomatenviertel zwischen 1st und 2nd Ave und zwischen 40. und 50. Straße herum. Der Einzelhandel hat sich natürlich längst auf diese zahlungskräftige und konsumwillige Klientel eingestellt: Alles, was der gut ausgebildete und gut gekleidete International Civil Servant zum Leben so braucht, gibt es hier zu kaufen oder es wird als Dienstleistung angeboten: Kulinarisches aus aller Welt (Sandwiches, Sushi, Chicken Shawarma & Falafel, Pizza, Hamburger, Salate & Suppen, Schnitzel), Anzüge, Hemden & Krawatten, je nach Jahreszeit Regenschirme (in New York niemals ohne!), Mützen, Handschuhe, Ohrenschutz und Sonnenbrillen, Taschen, ein Diplomaten-Hotel, Schuhputz (3 Dollar plus Tip), Reinigung (Hemden!), Massage, Kosmetik & Friseur, sogar eine eigene Bank für UN-Staff gibt es.
Das Klima in den Fluren und Aufzügen kann man am besten mit „geschäftigem, freundlichem und etwas oberflächlichem Gewusel“ bezeichnen. Man kennt viele Kolleginnen und Kollegen vom Sehen, es werden Floskeln ausgetauscht, man ist auf dem Weg zum nächsten Meeting. Ein Kollege in einer Friedensmission hat einmal gesagt: „Der Unterschied zwischen Field Mission und Headquarters besteht darin, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Headquarters nicht grüßen.“ Stimmt. Zumindest nicht außerhalb des eigenen Flures.
Ich arbeite hier beim Department of Peacekeeping Operations (DPKO), genauer bei ITS. „ITS" steht für „Integrated Training Service“ und bedeutet, dass hier alle Bereiche des Peacekeeping-Trainings abgedeckt werden. Von den etwa 30 Kolleginnen und Kollegen sind die Mehrzahl Militärs oder Zivile. Neben mir gibt es noch Ake aus Schweden und Jaime aus Spanien für den Polizeibereich. Ansonsten findet man an den Bürotüren ähnlich wie im Feld Namen aus der ganzen Welt: Nigeria, Kenia, Benin, Pakistan, Bangladesch, Nepal, Mongolei, Schweden, Italien, Spanien, Frankreich, Uruguay, Marokko, Brasilien, USA. Eine wirklich interessante und bunte Mischung, die sich zudem mehrmals im Jahr neu zusammenstellt, da die Fluktuation – wie oft bei internationalen Organisationen – recht hoch ist. Nach ein bis zwei Jahren gehört man bereits zu den alten Hasen und wird von den Neuen nach Dingen gefragt, die man (gefühlt) letzte Woche selbst noch erfragen musste. Das Arbeiten in diesem internationalen und fachlich breit gefächerten Umfeld ist ausgesprochen abwechslungsreich und macht richtig Freude. Auf der einen Seite gibt es den geregelten Alltag eines UN-Employees (Arbeitszeit von 9 AM bis 5.30 PM, 30 Urlaubstage, Mutterschutz, Väterurlaub, Work-Life-Balance, Teilzeitmodelle, Heimarbeit, alles geregelt, viele Meetings, interne Fortbildungsangebote etc.) und auf der anderen Seite stehen immer wieder Dienstreisen und Trainingsprojekte an.
Während meines ersten Jahres hier war ich unter anderem in Amman/Jordanien, Kiew/Ukraine, und Banjul/Gambia, und auch für die nächsten Monate stehen Trainingsprojekte und Workshops in China, Indien, Indonesien und Südafrika an. Dieser ständige Wechsel zwischen Büroarbeit und der Zusammenarbeit mit Trainern und Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt macht den besonderen Reiz aus. Im Wesentlichen besteht meine Aufgabe darin, die PCC (Police Contributing Countries) bei der Vorbereitung ihres Polizeipersonals auf Friedensmissionen zu unterstützen. Die Hauptverantwortung hierfür liegt bei den Mitgliedsstaaten selbst und leider ist es immer noch so, dass mindestens 30 Prozent der eingesetzten Polizistinnen und Polizisten unvorbereitet im Missionsgebiet eintreffen.
Nach fast einem Jahr hier in New York kann ich also sagen, dass sich meine Erwartungen beruflich mehr als erfüllt haben, und es geht ja gerade erst richtig los. Das ist natürlich nur die eine Seite, denn ich lebe ja hier zusammen mit meiner Frau Susanne und unseren drei Kindern, und das Leben besteht ja aus mehr als nur Arbeit. Diese Seite werde ich in meiner nächsten Lagemeldung aufgreifen und dann unter anderem davon berichten, wie lange eine 7-Jährige von Null-Englisch bis „Ich-bringe-meinem-Daddy-jetzt-mal-amerikanisches-English-bei“ braucht. Und: Ich werde versuchen, gängige Vorurteile gegenüber Amerikanern einem Faktencheck zu unterziehen. Fahren alle Riesen-Autos? Umwelt: egal? Haben die Einkaufswagen im Supermarkt wirklich einen Getränkehalter? Oder sind sie gar klimatisiert? Gibt es Eiswürfel auch in kleineren als Klinikpackungen?